Naturheilpraxis für klassische Homöopathie

Gerhard Hartusch M.A.

Homöopathie - eine Gratwanderung zwischen realen, phantastischen Heilerfolgen und ideologischem Wahn


1. Was ist eine Ideologie?
Wie ich es selbst an mir schon häufig erlebt habe: Mit leuchteneden Augen, erhitztem Gemüt, in Ekstase, seinem Gegenüber die "Ohren wegredend" , total überzeugt, nicht den geringsten Zweifel habend, "der andere muß es doch kapieren". So oder so ähnlich fühlt man sich und der Gegenüber denkt "hoffentlich hört er bald auf", und fühlt sich bedrängt. Es ist die zwingende logische Abfolge von Gedanken, die einen in die Gefahr bringen, die Realität, wie sie sich locker und wie von alleine an einen heranschleicht plötzlich nicht mehr wahrzunehmen. Die Logik der Gedanken ist plötzlich zur realen Welt geworden. Besonders schwierig und gefährlich wird es, wenn man sich in einer, in sich geschlossenen logischen Gedankenwelt bewegt, in einer Ideologie. Die fließende Realität (so subjektiv sie auch sein mag) erstarrt plötzlich in festen Kategorien und das Fatale daran ist, dass man diese Erstarrung fast nie selber bemerkt. Erst der Zusammenbruch des ganzen Systems läßt eine neue Wahrnehmung und Bewertung zu. Das erzählen alle, die sich beispielsweise aus einer Sekte befreit haben. Es ist, wie wenn innerhalb einer Sekunde alles plötzlich anders gesehen wird.

2. Was ist der Mensch ohne Ideen
Noch schlimmer als einem ideologischen Wahn zu verfallen, der einem wenigstens das Gefühl von Sinn und Zielsetzung im Leben gibt, ist das Ideelle grundsätzlich zu meiden. Aus einem gesunden Pragmatismus wird schnell ein beliebiger Polypragmatismus, man probiert mal das Eine , dann wieder das Andere, man ist ja keiner "Idee" verpflichtet. Diese "Freiheit" sich ideenlos dem wild pulsierenden Leben zu überlassen mündet schnell in Ziel-, Rat- und Sinnlosigkeit. Also, eigentlich ist Menschsein ohne eine ideelle Orientierung gar nicht denkbar.

3. Die Gratwanderung
Eine der wichtigsten Erkenntnisse meines bisherigen Lebens und auch eine tägliche Herausforderung besonders auch in Ausübung der Homöopathie ist diese Gratwanderung zu meistern: Zum einen die Begeisterung für eine Idee zu bewahren und zum anderen immer wieder zu prüfen , wie locker und leicht sich die wirklichen Erlebnisse einfügen lassen, sich immer wieder zu fragen "könnte es auch anders sein, wie ich es sehe?"

4. Der Nachteil
Leider hat diese Grundhaltung manchmal auch Nachteile: Der Energie, die sich durch unhinterfragte Ideen entfaltet, wird durch "das in Frage stellen" die Durchschlagskraft genommen. Menschen, die abwägend und selbstkritisch sind, werden schneller als zögernd und zweifelnd wahrgenommen als ein "Hans Dampf", der ohne mit der Wimper zu zucken, mit Behauptungen um sich schmeißt. Es ist hier jedoch nicht der Charakter- und Temperamentsunterschied von Menschen angesprochen. Auch bei erfolgreicher Gratwanderung zwischen ideeller Orientierung und ideologischem Wahn wird es Menschen geben, die tatkräftiger oder zögerlicher sind als andere. Trotzdem mindert natürlich "das sich Hinterfragen" die Kraft einer Zielrichtung. Das ist nicht in jeder Situation sinnvoll , aber für die Ausübung der Homöopathie ist dies meiner Meinung nach unabdingbar.

5. Homöopathie
Das homöopathische Weltbild kann als totalitäre Ideologie missverstanden werden. Es ist häufig ein Gefühl wie wenn man einer Sekte angehören würde. Auf einem Heilpraktikerkongress beispielsweise können Praktiker, die verschiedenen Heilmethoden anwenden, durchaus miteinander in ein fachliches Gespräch kommen, bis auf den "klassischen Homöopathen", der in der Regel , weil er völlig anders denkt, daneben sitzt mit der Bemerkung: "Ich bin halt Homöopath". Warum ist das so?

In der Homöopathie werden alle Beobachtungen, die im Zusammenhang mit der Befindlichkeit eines Menschen stehen gesammelt. Nur um den Umfang dieser Aussage zu unterstreichen ein paar sonderliche Beispiele aus gängigen Repertorien:

So sind bisher viele hunderttausende Mittel- und Symptombezüge systematisiert worden.

Es gibt also fast nichts, was nicht schon als Beobachtung im Zusammenhang einer Arzneimittelwirkung gesammelt wurde. Alles was zu irgendeiner Aussage führt, kann vom Homöopathen in seinem System verwertet werden, d.h. es lenkt den Homöopathen auf ein Arzneimittelbezug hin.

Ausgangpunkt ist eine auffällige, in der Regel problematische oder mit einem Leiden verbundene Situation z.B. Warzen, Hautausschlag, Migräne, Magenschmerzen, Schlafstörung, Streitsituation zwischen Ehepartnern, Misserfolg als Schauspieler, Verhaltensstörung etc.
Der Homöopath stellt sich außerhalb der Situation und beobachtet alle auffälligen Symptome , um daraus mit Hilfe des Ähnlichkeitsgesetzes dem hilfebedürftigen System eine Information zu geben, damit es "gesund" wird . Empirisch gewonnene Informationen (durch die Arzneimittelprüfung) sind die Wegweiser, welches Mittel zum Einsatz kommen soll.

Dazu kommt eine Vorstellung von Gesetzmäßigkeiten des Heilungsverlaufes, die ebenfalls einen totalitären Charakter hat.
Wenn jemand gesünder wird muß es ihm besser gehen als vorher, er muß mit seinem Leben besser zurecht kommen im Gesamten. Dazu muß man im Gesamten urteilen.

Wenn man einem bettelnden Alkoholiker 5 EUR spendet für den nächsten Schnaps hat man ihm dann geholfen? Der Alkoholiker würde dies mit Sicherheit zunächst bejahen und würde sich bedanken. Behandelt man eine Neurodermitis mit Cortison, was im Moment lindert- war das eine Heilung?
Wie ist es bei einer Migräne, die homöopathisch gebessert wurde und es wachsen hinterher Warzen?
Eine ganz offensichtliche und häufig vorkommende Unterdrückung ist die "wegbehandelte" Neurodermitis, infolge dessen, über immer häufiger auftretende Bronchitiden, die unterdrückte Krankheit in chronischem Asthma endet.

Homöopathen beurteilen Heilungsverläufe aus einer Warte, die dem Menschen schon fast nicht mehr zukommt. Das Behandlungsziel ist die "Heilung des Menschen" - das ist schon fast "Gotteslästerung". In welchem Ausmaß dieser Heilungsbegriff zur Anwendung kommt, hierin unterscheiden sich die einzelnen Homöopathen gewaltig. Was für den Einen noch unhinterfragt eine Heilung ist, weil die Symptome verschwunden sind, ist für den Anderen wiederum die schlimmste Unterdrückung mit schwerwiegenden Konsequenzen für die Zukunft des Patienten.
Aus dem Prinzip jedoch, dass man mit der Arzneigabe einen Anstoss zu einer "Heilung" beabsichtigt und man die Veränderung des Geschehens auf die Arzneigabe bezieht, lässt sich ein immer größerer Geschehenszusammenhang herstellen, auf den bezogen die Arzneigabe sich positiv auszuwirken hat.

Tatsächlich kursieren unter Homöopathen Ideen, dass mit dem homöopathischen Mittel nicht nur der einzelne Patient , sondern sein ganzes Umfeld mitgeheilt werden kann.
Oder es gibt überlegungen was wäre wenn das Trinkwasser von z.B. Los Angeles mit einer Hochpotenz von Medorrhinum versetzen würde, würde dann das Rotlichtviertel oder die Drogenszene verschwinden?

Was sich im ersten Moment für die meisten Leser dieses Artikels abstrus und vermessen anhört ist für jeden Homöopathen nur graduell so. Die tägliche Erfahrung ist: Bei sehr erfolgreicher Mittelverordnung kann man gar nicht weit genug denken oder vielleicht doch nicht?

Ein Beispiel aus eigener Praxis:
Die jahrelange Behandlung einer Frau mit verschiedenen Allergien, Neurodermitis, Nierenproblemen, sexuelle Kontaktstörungen, soziale Störungen aller Art, also eine Patientin mit einem jahrelangen unerträglichen Leidensdruck hatte immer wieder zu Teilerfolgen geführt. Im Großen und Ganzen blieb der Leidensdruck jedoch ähnlich. Da erzählte sie davon, dass immer wenn es keiner sah, sie kleine Kinder so zwicken musste, bis sie heulten.
Dieses Symptom führte zu einer Arzneimittelverordnung, worauf zum ersten Mal die Patientin, die sonst mehrmals in der Woche angerufen hatte, über ein halbes Jahr nichts mehr von sich hören ließ.

Dann kam ein Anruf:
"Warum haben sie mir das Mittel nicht früher gegeben?" Eine Woche nach dem Mittel sei die Neurodermitis völlig verschwunden gewesen. Sie habe sich wohlgefühlt und habe in der folgenden Zeit ein Mann kennengelernt mit dem sie auch Sex haben konnte, was bisher in ihren 45 Lebensjahren nie möglich gewesen war.

Also ein Fall bei dem der Homöopath denkt, dass er das "Simillimum" gefunden hat. Das bestpassendste Mittel hatte das ganze Leben dieser Frau verändert.

Nun kommt das Nachspiel:
Nach einer gewissen Zeit stellte sich heraus, dass dieser Mann alkoholkrank war. Die Patientin hatte zudem ein Haus gebaut, dann wurde sie arbeitslos, die Finanzierung des Hauses war außerdem gefährdet weil ihr Vater starb und dessen Rente für die Finanzierung des Hauses wegbrach. Also kurz und gut: Obwohl das Mittel zu einer enormen körperlichen und seelischen Verbesserung geführt hatte, ihre sexuellen Probleme sich aufgelöst hatten etc. war sie erneut in ihrem Leben in eine aussichtlose Situation geraten.

Als ich diesen Fall einem Kollegen schilderte antwortete er, "dann war es wohl nicht das passende Arzneimittel."

Hat er Recht? Ich glaube "ja".
Ist dieses "ja" vermessen und eine dem Menschen nicht zustehende Antwort ?
Ich glaube ebenfalls "ja".
Soll ich ein neues und besseres Mittel suchen?
Auch das kann ich nur mit "ja" beantworten.

Also was bleibt ist die lapidare Erkenntnis, dass man mit höchstem Anspruch starten darf und über intellektuelle Ehrlichkeit, auch mit der Erkenntnis kleinere Brötchen gebacken zu haben, sich zufrieden geben darf.

Spätestens wenn ein Homöopath bei einem vom Hunger aufgetriebenen Bauch eines mangelgenährten afrikanischen Kindes sein Repertorium aufschlägt und unter der Rubrik:
"Vergrößertes Abdomen bei Kindern"
nach dem passenden Heilmittel sucht - spätestens dann hat sich Homöopathie bei diesem Homöopathen als ideologischer Wahn zu erkennen gegeben.